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Luftanalytik und Materialanalytik siehe: Flüchtige organische Verbindungen (VOC)

Als "Glykolverbindungen" oder "Glykole" werden mehrwertige Alkohole sowie deren Ester und Ether bezeichnet.

Glykole sind häufig als Lösemittel in Acrylharzlacken ("Wasserlacke") und Bodenbelagsklebstoffen enthalten. In Lacken, die den "blauen Engel" verliehen bekommen, dürfen bis zu 10 Prozent Lösemittel enthalten sein. Das klingt zwar erstmal nicht viel im Vergleich zu konventionellen Lacken, die 50 % Lösemittel und mehr enthalten können. Aber: den Umweltengel auf der Dose halten viele Verbraucher für einen Freibrief zum sorglosen Gebrauch des Inhalts. Und damit liegen sie falsch. Lösemittel in Wasserlacken sind keineswegs harmlos. Teilweise stehen sie in ihrer Giftigkeit den konventionellen Lösemitteln nicht nach. Eine Reihe von Glykolverbindungen haben sich im Tierversuch als "embryotoxisch", "Missbildungen erzeugend" und darüber hinaus die "Fortpflanzungsorgane schädigend" erwiesen. Da die giftigen Abbauprodukte dieser Substanzen nach der Aufnahme nur langsam aus dem Körper ausgeschieden werden, können sie sich bei langandauernder Exposition im Körper anreichern.

Manche Glykolverbindungen verdunsten nur extrem langsam. Sie können über Jahre hinweg aus gestrichenen Oberflächen ausgasen und die Raumluft belasten. Davon merkt der Bewohner oder die Bewohnerin allerdings nicht viel: schon kurze Zeit nach dem Verstreichen sind die Lösemitteldämpfe nicht mehr zu riechen.

Glykole haben einige Eigenschaften, die sie für die Verwendung als Lösemittel besonders attraktiv machen: im Unterschied zu den "klassischen" Lösemitteln wie Toluol, Xylol oder Testbenzin mischen sie sich in der Regel leicht mit Wasser. Das ist natürlich für einen Lack oder einen Bodenbelagsklebstoff, in dem Wasser das Hauptlösemittel darstellt, von besonderer Bedeutung, zumal die in diesen Produkten enthaltenen Bindemittel sich eigentlich nicht in Wasser lösen. Glykole verdampfen nur langsam, so dass die Raumlufkonzentrationen beim Verstreichen eines Lacks oder Verkleben eines Bodenbelags niedriger liegen als bei Verwendung konventioneller Lösemittel. Der Geruch der konventionellen Lösemittel wird von vielen Verbrauchern mittlerweile als giftig und ungesund empfunden; Glykole riechen nur schwach und dazu noch ganz anders als beispielsweise Toluol und Testbenzin. Und nicht zuletzt: die wenigen existierenden Grenzwerte für Glykole liegen so hoch, dass die Kennzeichnungspflicht für ihre Produkte von den Lack- und Klebstoffherstellern leicht zu umgehen ist.

Ein weiteres Problem, welches durch die Verwendung von Glykolen als Lösemittel entstehen kann, sind sogenannte Sekundärkontaminationen. Sie entstehen, wenn relativ schwerflüchtige Substanzen über lange Zeit hinweg die Luft in einem Raum belasten und sich nach und nach auf ursprünglich unbelasteten Wänden, Fußböden und in Textilien niederschlagen. Bekannt sind solche Sekundärkontaminationen aus Häusern, in denen Oberflächen mit Holzschutzmitteln behandelt wurden. Einige Jahre nach der Behandlung konnten Wirkstoffe wie Pentachlorphenol (PCP) und Lindan auch in nicht behandelten Tapeten, Vorhängen und Fußbodenbelägen nachgewiesen werden.

Sind Sekundärkontaminationen vorhanden, kann es extrem schwierig sein, die Raumluftbelastung zu vermindern. Selbst das vollständige Entfernen der behandelten Gegenstände oder Oberflächen reicht oft nicht aus. Die von den großflächigen Sekundärkontaminationen ausgehende Belastung ist dann nur unter großem Aufwand und mit hohen Kosten einigermaßen zu beseitigen.

Einige hochsiedende Glykolverbindungen mit Siedepunkten über 200 °C werden besonders gerne in Klebern fur Bodenbeläge verwendet. Der Grund: im Oktober 1994 wurde die Technische Regel fur Gefahrstoffe (TRGS) Nr. 610 überarbeitet. In diesem Regelwerk, welches die Anforderungen der Gefahrstoffverordnung im Detail formuliert, werden als Lösemittel kurzerhand nur noch solche Chemikalien definiert, deren Siedepunkt unter 200 °C liegt. Hersteller von Bodenbelagsklebern, deren Produkte z. B. 3 % der Glykolverbindung 2-Phenoxyethanol (EGMP) enthalten (Siedepunkt: 245 °C), dürfen diese als " lösemittelfrei" bewerben. Wer einen solcherart "lösemittelfreien" Kleber verwendet, hat anschließend häufig ein Problem: Räume, in denen vor mehr als drei Monaten Auslegeware mit solchen Klebern verlegt worden war, wiesen nach eigenen Messungen hohe Raumluftkonzentrationen von bis zu 400 µg/m3 2- Phenoxyethanol auf. Die TRGS 610 schreibt daher vor, den Begriff "lösemittelfrei" nur in Verbindung mit der Lösemitteldefinition oder einem Hinweis auf die TRGS 610 zu verwenden.

Die beschriebenen flüchtigen organischen Verbindungen stellen mit ihren Giftwirkungen nur einen kleinen Ausschnitt dessen dar, was unter dem harmlosen Etikett "Lösemittel" verkauft wird. Jeder beliebige Lack kann diese oder ähnliche Substanzen und alle möglichen Mischungen davon enthalten. Und die Lösemittel, die in der Lackdose waren, finden wir nach dem Verarbeiten in der Atemluft wieder. Nun ist bekannt, dass beim Verstreichen eines Lackes oder beim Verkleben eines Teppichbodens Lösemittel verdampfen und eingeatmet werden; der charakteristische Geruch von Lösemitteln ist dafür ein sicheres Zeichen. Doch ist es ein Irrtum zu glauben, dass die Lösemittel vollständig aus der Atemluft verschwunden sind, wenn der Geruch nicht mehr registriert wird. Untersuchungen belegen vielmehr, dass noch Wochen und Monate nach der Anwendung lösemittelhaltiger Lacke oder Kleber die flüchtigen Gifte in der Atemluft in erhöhten Konzentrationen vorhanden sind. Lösemittel sind nicht nur - wie erwartet - in Produkten wie Lacken, Klebstoffen oder Pinselreinigern enthalten. Viele Dinge des täglichen Lebens, mit denen wir ständig umgehen, enthalten flüchtige organische Substanzen, ohne dass wir es vermuten. Wer denkt schon an Lösemittel, wenn beim Abwasch die "wilde Frische von Limonen" aus dem Spülmittel den Geruchssinn betört? Tatsache ist, dass der natürliche Geruchsstoff namens Limonen auch als Lösemittel eingesetzt wird und Gesundheitsschäden hervorrufen kann. Oder wer denkt an Perchlorethylen, wenn der frisch aus der chemischen Reinigung abgeholte Wintermantel in den Kleiderschrank im Schlafzimmer gehängt wird? Perchlorethylen schädigt Nerven und innere Organe, steht unter dem Verdacht, Krebs zu erzeugen und wird in chemischen Reinigungen als Waschmittel eingesetzt. Mit den frisch gereinigten Kleidungsstücken kommt das Gift in die Wohnung, wo es nur langsam ausgast. Auch neue Möbel können die Raumluft für längere Zeit mit Lösemitteldämpfen belasten: Lacke und Kleber, bei der Möbelherstellung verwendet, dünsten im heimischen Wohnzimmer aus. Oft hält diese Belastung, schon am Geruch erkennbar, wochenlang an. Besonders Baukastenmöbel, die gleich nach der Herstellung in Plastikfolie luftdicht verpackt wurden und erst zu Hause zusammengebaut werden, führen oft zu Beschwerden.

Dies sind nur wenige Beispiele für eine Vielzahl von Materialien und Gegenständen, aus denen die unterschiedlichsten Lösemittel ausgasen und die Raumluft belasten können. Längst nicht alle Quellen für Lösemittel in Innenräumen sind bekannt; immer wieder werden selbst Fachleute verblüfft, weil scheinbar unverdächtige Gegenstände sich plötzlich als Ursache für die Lösemittelbelastung in Wohnräumen erweisen. So hat sich vor einigen Jahren gezeigt, dass frisch gedruckte Zeitungen und Zeitschriften erheblich zur Raumluftbelastung beitragen können. Der Grund: auch Druckfarben enthalten Lösemittel, die nur langsam ausgasen. Wo Zeitungen und Zeitschriften in größeren Mengen lagern, in Zeitungsläden und Buchhandlungen etwa, kann die Belastung so hoch sein, dass vor allem fettreiche Lebensmittel erhebliche Mengen der giftigen Chemikalien aufnehmen. Mehr durch Zufall als durch systematische Suche entdeckt, überraschte dieser Fund vor einigen Jahren die ExpertInnen. Weitere Überraschungen sind zu erwarten. Das "Gift, das aus der Zeitung kommt" wird nicht die letzte gewesen sein.